Alice Rohrwacher gelingt mit ihrem neuen Werk ein seltenes Kunststück: Eine Verbindung zwischen filmischem Realismus und Mystik, zwischen Sozialkritik und „Heiligenverehrung“, die dennoch stimmig wirkt. „Glücklich wie Lazzaro“ erscheint am 1.11. in den Kinos und ist zudem der Eröffnungsfilm der Viennale ’18.

Ins Zentrum ihrer Parabel stellt Rohrwacher den rund 20-jährigen Lazzaro, der ob seiner Gutmütigkeit, seiner Naivität und augenscheinlichen Einfältigkeit von allen nur herumkommandiert wird; auf dem bäuerlichen Gut, auf dem er und seine rund 50-köpfige Sippe von der bösen Marquesa de Luna in Sklaverei gehalten wird. Deren junger Sohn Tancredi, der gegen die Regentschaft seiner Mutter rebelliert, freundet sich mit Lazzaro an. Schließlich fliegt der „große Betrug“ auf, die Landarbeiter werden von der Polizei befreit und in die Stadt gebracht, wo ein neuer Kampf ums Überleben beginnt. Lazzaro folgt schließlich nach, und wirkt – keinen Tag gealtert – wie er Relikt aus vergangenen Zeiten in der von neuer Armut gezeichneten, urbanen Metropole.

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Der Name von Lazzaros Freund, Tancredi, verweist unter anderem auf einen Klassiker des italienischen Neorealismus, „Der Leopard“ (1963) von Luchino Visconti, in dem Tancredi wie hier einen aufständischen Adeligen verkörpert, der sich gegen die eigene Familien wendet, und sich auf die Seite der Unterdrückten stellt. Tonal erinnert „Glücklich wie Lazzaro“ an die Bücher der großen John Steinbeck, der in seinen oft im ländlichen Milieu angesiedelten Romanen ebenso wie Rohrwacher Realismus mit Mystik und Religiosität verband. Gelungen sind die Bilder von Kamerafrau Helene Louvart, die mit 16-mm-Film eingefangenen Szenen wirken die der Film selbst aus der Zeit gefallen.

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Rohrwacher transportiert die biblische Legende des auferstehenden Lazarus in die Gegenwart, verbindet italienische Geschichte mit christlicher Mythologie und lässt dezent formulierte Sozialkritik durchklingen: Die Herrscher der Vergangenheit sind in der tristen Gegenwart selbst Abgehängte, die sich lediglich am Glanz vergangener Tage festhalten können. Der Film wirkt deshalb über weite Strecken melancholisch bis traurig, der Einzige, den all das nicht zu tangieren scheint, ist Lazzaro, dessen Gutmütigkeit alle Zeiten und Widrigkeiten zu überdauern scheint. Insgesamt ein schöner Film, als Eröffnungsfilm eines großen Festivals wie der Viennale aber vielleicht etwas zu „speziell“. In den Programmkinos wird und sollte „Glücklich wie Lazzaro“ aber seine Freunde finden können.        ab 1.11. im Kino

Bewertung:

9 von 10 Punkten

von Christian Klosz

Bilder: © Filmladen

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